Blaupause


Es war März 2023 und langsam fing es an zu grünen. Ich schaute aus dem Fenster und sah gepflegte Einfamilienhäuser und eine Pflasterstraße. Ich sah Osterglocken und eine Möwe, die auf der Straßenlaterne saß. Adam sah Maschinen. Er war auf Montage in der Papierfabrik. Ich war krankgeschrieben, hatte Corona. Das letzte Mal hatte ich Corona auf der Passage durch den Pazifik gehabt. Jetzt war ich in meinem Elternhaus an der Nordsee. Wie konnte es dazu kommen?

Rückblick Oktober 2022: Wir hockten gar gekocht (wie unser Motor) auf Tahiti und warteten auf eine neue Zylinderkopfdichtung. Wir fragten uns, was tun, wenn sie nicht rechtzeitig geliefert würde. Sie wurde nicht rechtzeitig geliefert und es begann ein zäher Kampf um eine Entscheidung zur Frage: Was nun? Wir galoppierten um den heißen Brei, wanden uns, holten Informationen ein, kalkulierten, fragten und wussten dabei eigentlich bereits die Antwort: Es war beinahe November. Wir waren zu spät. Hatten den Absprung in den Rest des Südpazifiks verpasst. Hatten jetzt die Pappnase auf.
Die Wirbelsturmsaison stand vor der Tür. Die Versicherung würde im Falle eines Falles nichts bezahlen. Das Risiko in einen benannten Tropensturm zu gelangen stieg von Tag zu Tag je westlicher wir kommen würden. Selbst wenn wir moderates Wetter gehabt hätten sollen und gut in die „sichere“ Zone gelangt wären, spätestens in Indonesien hätten wir die
Winde gegen uns. Es wäre schwüler und feuchter als ohnehin schon. Wir wären einfach nicht in der richtigen Saison. Darauf hatten wir keine Lust.

Auf einmal kam uns der einsetzende Herbst in Deutschland verlockend vor. Eine Jahreszeit, die wir nie besonders mochten. Aber nach so vielen zermürbenden Wochen in polynesischer Hitze erschien er uns als gute Alternative. Wir vertauten die Vixen sturmfest in der Marina und organisierten einen Babysitter für sie, der ab und zu nach dem Rechten schauen würde. Wir hatten Glück, denn die Preise der Marina waren aufgrund der Nebensaison um die Hälfte reduziert. Trotzdem tat uns das Boot irgendwie leid. So, als ob man seinen Hund irgendwo für die Ferien abgibt.

Dann buchten wir Flüge nach Deutschland. Wir riefen unsere Eltern an und verkündigten, dass wir für die nächsten Monate unsere alten Kinderzimmer zu beziehen beabsichtigen. Unsere Wohnungen hatten wir ja nicht mehr. Wir waren herzlich willkommen (DANKE!). Als wir im Flugzeug saßen, fiel auf einem Mal alle Anspannung von uns ab, die sich in der
letzten Zeit aufgestaut hatte. AIR FRANCE servierte Champagner zum Mittagessen. Wir fühlten uns gut und ahnten, dass wir uns richtig entschieden hatten.

Die Zeit in Deutschland füllten wir mit Arbeit. Von 0 auf 100 stiegen wir wieder ein ins normale Leben mit Fulltimejob und allem drum und dran. Die Umgewöhnung ging erstaunlich schnell. Gewiss, es war kalt, die Tage wurden kürzer und kürzer aber es war auch schön. Wir fanden beide Arbeit, die uns Spaß machte und ernteten neue Erfahrungen. Wir sahen Familien und Freunde wieder, uns wussten, dass sich allein dafür der Weg zurück gelohnt hatte. Doch Zeit vergeht bekanntlich schnell und so war es eben wieder März, ich hatte Corona und Adam war auf Montage.
Die Flüge waren gebucht: Anfang April flog Adam, ich folgte ihm Anfang Mai. Das war gar nicht schlecht, so konnten Mann und Boot etwas Quality-Time zu zweit verbringen, schließlich gab es noch viel zu tun, bevor wir in die zweite Runde starten würden. Die Zylinderkopfdichtung ist kurz vor unserem Abflug im Oktober doch noch gekommen und wurde ausgewechselt. Nun galt es in einer Werft das Boot rausholen um die Wellendichtung samt Lager, Antifouling und vieles mehr zu erneuern nebst gefühlt 198 weiteren Kleinig- und Großigkeiten.

Anfang Mai war es dann so weit und wir schmissen die Leinen, um Tahiti – was uns so lange nicht hat gehen lassen wollen – endlich hinter uns zu lassen. Zum Einstieg dümpelten wir zur Nachbarinsel Moorea, deren prägnante Umrisse uns inzwischen ein vertrauter Anblick geworden waren. Mit dabei war Paul, ein Tahitianer, der uns in all der Zeit ein sehr guter Freund geworden ist. Er lieh uns sein Auto, wenn wir es brauchten und schenkte uns ein Glas ein, wenn wir down waren. Trotz Sprachbarrieren verstanden wir uns, vielleicht weil es in guten Freundschaften oft wenig Worte braucht, um einander zu
verstehen und nah zu sein.Und nun begleitete er uns noch ein Stückchen. Michu, ein Wesen von einem anderen Stern, hatten wir bereits auf Tahiti verabschiedet. Sie weihte uns in tahitianische Familiengeschichten und Sagen ein und versorgte uns regelmäßig mit frischem Obst. Beim Abschied verdrückten wir alle ein paar Tränen.

Auf Moorea schnorchelten wir an unserem letzten Tag in Französisch Polynesien mit Haien und Rochen. Und so setzten wir versöhnt mit diesem Flecken Erde – an dem wir so manches Mal fast verzweifelt wären – am Samstag, den 13 Mai Segel Richtung Cook Islands.