Tahiti: Zeitenwende

Die Hälfte der Reise ist nun also rum, wir sind in Tahiti, wir haben insgesamt knapp 13.000 NM zurückgelegt, wir haben den Äquator überquert. Wir haben meinen Geburtstag gefeiert, heute ist Adam dran, vor fast einem Jahr sind wir gestartet.

Es ist Zeit, sich Gedanken über die Zeit zu machen. Wo ist die eigentlich hin? Wie wurde sie gefüllt? Und warum sitzt sie uns jetzt im Nacken?

Kuna Yala

Wir verließen die Grenadinen Anfang April auf direktem Wege, wir durchsegelten die Karibische-See und hielten nicht, wie die meisten anderen Crews, auf den A-B-C Insel oder Kolumbien. Schon im Frühling waren wir  „spät dran“ und kamen daher bei einsetzender Regenzeit in Panama auf den San-Blas-Inseln an.
Dieser Inselarchipel steht unter teil-autonomer Verwaltung der Kuna, einer indigenen Bevölkerungsgruppe Panamas. Er besteht aus über 300 Inselchen, manche nicht viel Größer als ein Tennisplatz und lediglich von einer Handvoll Menschen bewohnt. Es gibt Kokospalmen, weißen Korallensand und jede Menge Plastikmüll, der hier, quasi am Ende des Atlantiks, ins vermeidliche Paradies gespült wird. Eine funktionierende Müllentsorgung gibt es nicht, der Müll wird von den Kunas verbrannt aber es ist einfach zu viel.
Unterwasser ist der Anblick wesentlich erfreulicher. Wir erschnorchelten im kristallklarem Wasser wunderschön erhaltene Korallenriffe, die in sämtlichen Farben leuchteten.
Der Archipel ist beliebt bei vielen Seglern, wir trafen Menschen, die jedes Jahr wieder kommen, teilweise seit 20 Jahren. Die Inseln sind relativ windarm und die Distanzen kurz, das macht das Inselhopping attraktiv. Lediglich die Riffe sind eine Herausforderung, darum ist Segeln bei guter Sicht und am Tag oberstes Gebot. Doch nicht nur die Fischbestände werden immer weniger, auch die Inseln selber schrumpfen von Jahr zu Jahr. Eine der „Dauercamperinnen“ von San Blas, berichtete, dass insbesondere in den letzten 5 Jahren einige Insel große Teil Landmasse eingebüßt haben. Die Gründe sind vielfältig: zum Teil entfernen die Kuna Mangroven und andere Sträucher, um die Strände für Touristen schöner zu machen. In der Folge erodiert der Strand. Doch auch der steigende Meeresspiegel verlangt seinen Tribut. Die Eilande sind alles auf Höhe des Meeresspiegels. Da gibt es keine Deiche, keine Berge, selbst kleine Hügel sucht man vergeblich. Früher oder später werden sie vielleicht ganz verschluckt werden von der See.

Shelter Bay

Von dem sich auflösenden Paradies der San-Blas-Inseln fuhren wir in einer gemütlichen Nachtfahrt nach Colon in die Shelter Bay. Dort beginnt die obligatorische Durchfahrt durch den Panamakanal für jedes transozeanisch fahrende Schiff, ob Nussschale oder Riesendampfer, welches nicht Kap Horn oder die Nordwest-Passage durchqueren will.
Wir gönnten uns einige Tage in der gleichnamigen Marina, um die Durchquerung des Kanals zu organisieren und um ein bisschen Boots- und Körperpflege zu betreiben. Die letzte heiße Dusche hatten wir im November auf Teneriffa gehabt, mittlerweile war es April. Es war herrlich. Auch der Pool der Marina war herrlich, der unbegrenzte Strom war herrlich, das Restaurant war herrlich, es gab herrliche hilfsbereite Mitarbeiter. Es war herrlich, einfach aus dem Boot aussteigen zu können und rumzulaufen, ohne sich vorher abzusprechen, ohne das Dinghy aktivieren müssen. Einfach mal „raus gehen“ Nach Monaten im Off, erschienen uns die Errungenschaften der Zivilisation wie strahlende Offenbarungen. Alles was uns in unserem normalen Leben selbstverständlich erschien, gewann auf einmal an Wert. Shelter Bay – der Name war Programm. Gepfiffen auf Wind und Strömung, piepegal ob der Anker hält: Wir waren sicher am Steg und hatten festen Boden unter den Füßen, wann immer wir es wollten. Das hat gut getan und uns geerdet.

Panama-Kanal

Aus unserem Refugium in der Marina war es leicht, alles für die Durchquerung des Kanals zu organisieren. Man empfahl uns einen Agenten, Mr. Staneley, ein Berg von einem Mann. Dieser regelte alles. Man könnte auch alles ohne Agenten organisieren, aber kaum jemand möchte das tun.
Man kann nämlich nicht einfach durch den Kanal fahren, wie durch eine holländische Schleuse. Man benötigt spezielle Leinen, spezielle Fender und spezielle Helfer( s.g. Linehandler), die einem in den Schleusen zu Hand gehen. Man braucht einen Lotsen, alles ist getaktet und zeitlich abgestimmt. Die Linehandler standen uns die gesamte 24-stündige Durchquerung des Kanals mit Rat und Tat zur Seite.
Ich kochte einen riesigen Topf Chili con Carne, wir fuhren, wir bewunderten die üppige Natur, wir aßen, wir schliefen und am nächsten Tag spuckte der Kanal uns auf der anderen Seite heraus. Wir waren im Pazifik.

Panama City

Es gibt Städte, die könnten ohne weiteres als Kulisse für einen distopischen Sience-Fiction-Film dienen. So auch Panama City. Von weitem eine moderne Stadt mit ihrer Skyline aus verglasten und verchromten Zaubertürmen, in deren Waschküchen die Dollarnoten gesäubert werden. Im Erdgeschoss der Metropole dann klapprige Häuser, Verfall, Dreckberge, Streetart. Das ist manchmal bedrückend, manchmal wild-romantisch, je nach Tagesverfassung.
Die zwei verfügbaren Marinen der Stadt riefen schrille Preise auf, so ankerten wir, wie so viele, in der Bucht von Amador mit Blick auf die Stadt. Die Luft war vielleicht eine Kleinigkeit sauberer, dafür erinnerte das Wasser vor allem olfaktorisch an Kloake. Mittlerweile war die Regenzeit dann auch so richtig im Gange. Alles, was nicht niet- und nagelfest war, fing an zu schimmeln. Es fühlte sich Tag und Nacht an, wie in der Dampfsauna.
Ich nahm mir eine zweiwöchige Auszeit und flog nach Deutschland, um einige notwendige Arzttermine wahrzunehmen und Familie und Freunde zu besuchen. Adam blieb an Bord und bereitete das Boot für die bevorstehende Pazifik Passage vor. Und was soll ich sagen: es war eine Wohltat, es war Balsam für die Seele. Man sagt, dass Distanz Nähe schafft, und das ist wahr. Ich kam an und es war wie immer, nichts hat sich geändert. Es war mittlerweile Frühsommer in Deutschland und ich genoss die langen Tage, die frischen Erdbeeren, den Spargel, die Vertrautheit meiner Herde. Ich verstand die kulturellen Codes, es fühlte sich leicht und unbeschwert an und ich wusste, ich werde froh sein, eines Tages wieder zurück zu kommen. Das zu verstehen ist ein großes Geschenk, für das ich dankbar bin. Es tat gut, die Reise zu unterbrechen und sie aus der Entfernung Revue passieren zu lassen. Auch aus der Enge der Bootes und der Beziehung zu treten tat gut. Gestärkt kehrte ich nach Panama zurück und freute mich auf das, was da kommen sollte.

Galapagos-Inseln

In Panama kauften wir noch einmal tüchtig ein und proviantierten das Boot mit Konserven, Wasser und Diesel. Wir wussten, der Pazifik würde teuer werden, also nahmen wir mit, was in die Stauräume der Vixen passte.
Mitte Juni setzten wir die Segel und nahmen Kurs auf die Galapagos-Inseln. Die 1100 NM sind unter normalen Umständen in einer guten Woche zu schaffen aber die Bucht von Panama wollte uns nicht ziehen lassen. Wir kämpften mit Gegenwind, Wellen, Strömungen sowie Flauten und brauchten stolze 11 Tage bis wir Puerto Ayora auf Santa Cruz erreichten. Das kostete Nerven und vor allem Diesel.

Die Galapagos-Inseln sind ein hochsensibles Ökosystem und die Regierung Ecuadors tut viel, um dieses zu schützen. Möchte man sich mit dem eigenen Boot im Archipel aufhalten, gilt es viele Auflagen zu erfüllen: Über einen Agenten, den man in der Regel bereits in Panama kontaktiert hat, muss sich zunächst eine Art Fahr- und Aufenthaltserlaubnis gekauft werden, mit der man dann für 30 Tage an bestimmten Plätzen ankern darf. Das Boot muss ausgeräuchert werden und das Unterwasserschiff muss blitzblank sein. In der Regel werden zu diesem Zweck Taucher in Panama engagiert, die das Boot für teures Geld reinigen und einem ein Zertifikat auszustellen, welches bei der Ankunft in Galapagos vorzulegen ist. Die Einfuhrbestimmungen sind streng und bestimmte Lebensmittel und Pflanzen dürfen nicht an Bord sein. Müll muss getrennt und die entsprechenden Mülleimer beschriftet werden. Dies alles wird bei Ankunft in dem dir zugewiesenen Hafen strengstens von einem vielköpfigen Komitee kontrolliert und bei Nichterfüllung mit Strafen geahndet. Kurz: der Aufenthalt auf den Galapagos-Inseln ist in der Vorbereitung aufwendig und ein teurer Spaß.

Nachdem wir bereits knapp 3000 Dollar für die Durchquerung des Panamakanals geblecht und die Zeit im Nacken hatten, entschieden wir uns, die Galapagos-Inseln lediglich für einen s.g. Emergency-Stop anzulaufen. Im Rahmen eines Emergency-Stops darf man nämlich bis zu 72 Std (unter Umständen auch länger) jedes Gebiet der Welt anlaufen.
Und so wurde es dann auch gemacht. Wir kontaktierten einen Tag vor Ankunft via Satellit die entsprechende Hafen-Autorität und baten um Erlaubnis zum Anlanden. Wir hatten auch tatsächlich einen Notfall vorzuweisen, denn ich hatte unser elektronisches Endgerät, mit dem wir navigierten, aus Versehen auf Tauchgang in die Tiefen des Pazifiks geschickt. Wir durften dann auch tatsächlich ohne größere Kontrollen einen Notstop einlegen und bezahlten einen Bruchteil von dem, was es auf regulärem Wege gekostet hätte. Wir durften sogar das Land betreten und uns die Navigationssoftware downloaden, die baden gegangen war.
Wir tankten Wasser und Diesel auf und kauften noch ein wenig „Frisches“, für die lange Passage, die uns bevorstand. Darüber hinaus durften wir uns frei auf Santa Cruz bewegen und besuchten die uralten Landschildkröten, die urzeitmäßig anmutenden Echsen und waren entzückt von den goldigen Seelöwen, die sich überall (auch zu Land) tummelten. Gewiss, Galapagos ist viel mehr als das und wir hätten Wochen damit verbringen können, Ausflüge in die Natur zu unternehmen und die vielfältige Flora und vor allem Fauna dieses schützenswerten Stück Erde zu bewundern. Aber in Anbetracht unserer finanziellen und zeitlichen Situation haben wir das Beste aus der Lage gemacht.
Ich bin froh, ein bisschen Galapagos geschnuppert zu haben, auch wenn ich mir als kleines Souvenir Corona eingefangen hatte. Als Krönung sozusagen. Vielleicht wollte mich Darwin ja testen. Ganz im Sinne von „Survival of the Fittest“.

Pazifik Passage

Schon beim Ablegen in Santa Cruz spürte ich ein unangenehmes Kratzen im Hals, welches ich jedoch auf die sehr kühlen Temperaturen schob, die auf den Galapagos Inseln zu dieser Jahreszeit herrschten. Im Laufe des Tages wurde ich schlapper und schlapper und am nächsten Morgen fieberte ich. Der Selbsttest brachte die Gewissheit: ich hatte Corona und wir waren auf hoher See. Schön war das nicht. Wundersamerweise blieb Adam verschont. Und dankenswerterweise war der Krankheitsverlauf mild. Dennoch: 10 Tage war ich quasi „raus“ und Adam übte das Einhandsegeln. Er kochte sogar. Und ich hielt in vorbildlicher Weise meine Quarantäne ein. Ich habe wirklich niemand anderen als Adam getroffen. Nicht mal den Klabautermann.

Der Pazifik machte seinem Namen in den ersten Tagen auch alle Ehre und lies die Vixen auf überschaubaren Wellen und frischer Brise gen Westen segeln. Am vierten Tag rief mich Adam ins Cockpit, ich müsse mir das unbedingt anschauen, so etwas hätte ich noch nicht gesehen. Ich kroch hinauf und sah einen chinesischen Fischkutter an einer riesigen Boje liegen. Mitten im Pazifik. Ich dachte zunächst an Fieberwahn, doch Adam sah es ja auch und das, was wir sahen, war erst der Anfang. Immer mehr chinesische Kutter, teilweise in desolatem Zustand lagen an riesigen Mooringbojen im Wasser. Bald füllten sie den gesamten Horizont aus. Adam bahnte sich seinen Weg durch die Schiffe und zählte über 100 Stück.
Nachts sah man dann, was der Zweck dieser Schiffe war, die tagsüber noch wie verwaiste Geisterschiffe ausgesehen haben. Es waren schwimmende chinesische Fischfabriken. Voll beleuchtet lockten sie Schwärme von Fischen an. Mit Haken bestückte Stahlseile pflügten in Dauerschleife durch das Wasser und zogen im Sekundentackt große Tunfische aus dem Wasser, die sofort im Bauch des Schiffes verschwanden. Es war ein unwirkliches, albtraumhaftes Szenario. Bedrückt dachten wir am nächsten Tag an die vielen Tunfischdosen im Laderaum der Vixen. Der Appetit war uns erstmal vergangen. Viel Später, wir waren bereits auf den Marquesas-Inseln angekommen, recherchierte ich im Internet dazu. Diese schwimmenden Tötungsfabriken stehen seit einigen Jahren scharf in der Kritik, weil sie dabei sind, sämtliche Fischbestände der Region leer zu fischen (mehr dazu unter www.sea-shepherd.de).

Wir segelten weiter gen Westen und verdauten die schrecklichen Einsichten in die internationale Fischindustrie nur langsam. Ein guter Passatwind schob uns ab Mitte der Passage vor sich hin und die Wellen waren im Vergleich zur Atlantikpassage moderat. Ich kam langsam wieder auf die Beine und genoss nach knapp zwei Wochen eine erste Eimer-Dusche. Danach fühlte ich mich wie neugeboren und war froh, Adam ein bisschen entlasten zu können. Gravierende technische Probleme hatten wir zu diesem Zeitpunkt noch keine. Die Wellendichtung fing irgendwann an zu tropfen aber die Pumpen taten ihren Dienst und Adam dichtete sie behelfsmäßig ab, so dass wir es trockenen Fußes auf die Marquesas schafften. Irgendwann machte auch die Batterie Zicken aber auch hier mac-gyverte Adam eine gute Lösung.
Die Passage war 3200 NM lang und dauerte 21 Tage, exakt so lange wie die Passage über den Atlantik. Wir waren also drei Wochen unterwegs und drei Wochen in einer reizarmen Umgebung können sehr lang werden. Bis auf die gruselige chinesische Flotte, sahen wir kein einziges Boot. Ab und zu sahen wir einen Vogel. Das wars. Ich fing an, die Bedeutung des Wortes „Wasserwüste“ zu verstehen. Die Zeit zog sich wie Kaugummi. Viele Segelmanöver mussten nicht gefahren werden und der Autopilot tat zuverlässig seinen Dienst. Was also tun? Wir strukturierten die Tage mit Reparieren und Kochen. Zwischendrin las ich (ich glaube es waren insgesamt 10 Bücher). In der letzten Woche, fanden wir heraus, dass es schön war, wenn ich das gelesene Adam nacherzählte. Das machte uns besonders bei Kriminalromanen Spaß, weil wir dann gemeinsam versuchten heruszuknobeln, wer wohl der Mörder ist.
Es ist schon seltsam, wenn ich daran denke, wie sehr ich mir manchmal gewünscht habe, die Zeit auf der Passage möge schneller vergehen. Jetzt wünsche mir, sie möge langsamer sein. Manchmal möchte ich sie auch zurück drehen, um andere Entscheidungen treffen zu können. Letztendlich macht die Zeit aber trotzdem, was sie will. Wir können sie nur sinnvoll füllen und aus ihr lernen.

Marquesas-Inseln

Am Morgen des 21. Tages hielten wir Ausschau nach Fatu Hiva. Laut unserer Navigation sollte sie bereits ganz nah sein, doch das Wetter war diesig. Sehnsüchtig suchten wir den Horizont ab, doch wir sahen nichts als das ewige Meer. Aber irgendwann tauchten die ersten Umrisse der Insel auf und Vögel umkreisten die Vixen. Nach und nach wurden die Umrisse schärfen und gegen Mittag wurde aus der Silhouette eine greifbare Form in 3D. Wir hatten es geschafft und es erfüllte uns mit einem erhabenen Gefühl.
Wir liefen die berühmte Baie de Vierges an und warfen den Anker. Außer uns waren nur drei weitere Boote in der Bucht und so hatten wir genügend Abstand, was auch wichtig war, denn böige Fallwinde fegten von den schroffen Felsen aufs Wasser. Ungeachtet dessen hätte die Szenerie schöner nicht sein können. Wir fühlten uns, wie in eine andere Zeit zurückversetzt. Die unberührte Natur und die pittoreske Felsformationen wirkten fast märchenhaft auf uns. Das Wasser funkelte wie ein Opal und ein Mantarochen schwamm nahe am Boot vorbei, fast so, als wollte er uns willkommen heißen. Wir kamen aus dem Staunen nicht heraus. Die Freude war perfekt, als wir feststellten, dass wir eines der Boote kannten. Es war das Boot von Jeff und Isabell, die wir bereits in Panama kennengelernt hatten. Die beiden kamen dann auch kurze Zeit später mit ihren Dinghy angetuckert. Das Wiedersehen war sehr herzlich und wir wurden mit frischen Pampelmusen und Bananen beschenkt. Die Früchte waren ein Hochgenuss! Mittlerweile war es schon spät geworden und wir beschlossen auf dem Boot zu bleiben. Zu Feier des Tages stießen wir mit einem kalten Sekt an. Aus richtigen Gläsern. Vielmehr brauchte es nicht, um glücklich zu sein.

In den nächsten Tagen erkundigten wir die Insel und stellten fest, dass alle Klischees, die man über die Südsee hat, im positiven Sinne erfüllt wurden. Viele Menschen trugen traditionelle Tätowierungen und die Frauen hatten Blumen im Haar. Die Natur hätte üppiger und grüner nicht sein können. Wir wanderten zu einem Wasserfall, vor dem tatsächlich Paradiesvögel flogen. Wie berauscht sogen wir die Eindrücke in uns auf, die umso intensiver waren, als dass wir drei Wochen zuvor nichts als Blau gesehen hatten. Mit dem Inselvolk kamen wir schnell in Kontakt: Wir wurden auf kalte Limonade eingeladen und nahmen an einem traditionellen Essen aus dem Erdofen teil. Im kleinen Minimarkt konnte man nicht viel kaufen, aber dafür gab es Massen an Pampelmusen und Limetten, die wir an jeder Ecke geschenkt bekamen. Unser Vitamin C-Haushalt war sehr ausgewogen in jenen Tagen.

Nach einer Woche fuhren wir gen Norden auf die Insel Hiva Oa, eine der zwei Hauptinseln der Marquesas. Hier ging es schon etwas geschäftiger zu. Es gab einige Geschäfte und wir bekamen frisches Gemüse und Wasser. In der Bucht von Atuona trafen wir auf weitere Freunde, die wir während unserer bisherigen Reise kennen gelernt hatten. Die Welt ist groß und doch so klein.

Von Hiva Oa setzten wir über auf die Insel Tahuata. Wir ankerten in der Bucht von Hapatoni, die Kulisse für einen Jurassikpark hätte sein können. Wieder fühlten wir uns, wie in einem Zeitloch, vom Boot aus war keine Zivilisation zu erkennen. Die Bucht ist berühmt für ihre Delphine. Zu dutzenden zogen sie ihre Kreise durch das Wasser, ließen sich von den Bugwellen der Boote schieben und sprangen Pirouetten. Wir sprangen, wenn gleich nicht ganz so elegant wie die Delphine, vom Boot aus ins Wasser und tauchten mit den Tieren um die Wette.

Tuamotu-Archipel

Wir hätten noch wochenlang in der zauberhaften Bucht von Hepatoni und ihren Delphinen bleiben können, doch es zog uns weiter in den Tuamotu-Archipel. Dieser Archipel besteht aus zahlreichen Atollen. Jedes Atoll ist ein ringförmiges Korallengeflecht, bestehend aus mehreren zusammenhängenden sehr flachen Inseln, die sich um eine Lagune gruppieren.

Ein Atoll reiht sich ans nächste, einige sind so groß, das man den ganzen Tag durch die Lagune segeln könnte. Um in die Lagune zu gelangen, muss man zunächst durch einen der Pässe navigieren und die haben es zum Teil in sich. Die Durchfahrt durch die Pässe kann sehr anspruchsvoll und risikoreich sein. Starke Tidenströmungen mit bis zu 10 Knoten, heftige Unterwasserwirbel und steile kurze Wellen machen es Seglern nicht leicht. Es ist daher wichtig ein gutes Wetterfenster abzugreifen und einen starken und zuverlässigen Motor zu haben, um heil durch den Pass zu gelangen. Es gilt, die Gezeiten genauestens zu studieren und ein entsprechend günstiges Zeitfenster zu nutzen. Beachtet man all diese Voraussetzungen macht die Passdurchfahrt jedoch viel Spaß und man lernt eine Menge dazu.

Einige Atolle sind unbewohnt, auf anderen gibt es kleine Siedlungen. Während die Inseln landschaftlich überschaubar sind (Palmen, Sträucher, Sand), spielt sich das eigentlich Spektakuläre im Wasser ab. Das nährstoffreiche Wasser der Pässe sorgt für große Fischbestände. Wir sahen dutzende Haie und Rochen. Das kristallklare Wasser wirkte durch den weißen Korallensand fast unnatürlich türkis und lies uns an Eisbonbons und Zahnpastawerbung denken. Viele Yachten waren nicht am Start, was uns einsame Ankerplätze bescherte, inmitten von kitschigen Postkartenmotiven.

Auf Raroia und Makemo kamen wir schnell mit einigen Inselbewohnern in Kontakt und wurden auf das herzlichste willkommen geheißen und zu diversen Essen eingeladen. Wir nahmen an einem sehr schönen Gottesdienst teil und waren beeindruckt von den Gesängen der kleinen Kirchengemeinde. Nach zwei Woche fühlten wir uns bereits voll integriert und waren ein bisschen traurig, als wir wieder die Segel setzten in Richtung Tahiti.

Tahiti

Mittlerweile sind wir seit zwei Wochen auf der Chefinsel von Polynesien und gestern hätten wir eigentlich ablegen wollen, um nach einem kurzen Zwischenstopp auf Maupiti weiter nach Samoa und danach auf die Salomonen zu segeln. So war zumindest unser Plan. Jetzt liegen wir an den Toren Papeetes und haben keine Ahnung, wann es weiter geht. Wie ist es dazu gekommen?

Bereits als wir vom Tuamotu-Archipel aufbrechen wollten begann unsere Pechsträhne, die seitdem kontinuierlich anhält. Wir planten, morgens mit günstiger Tide durch den Pass von Makemo zu queren, um danach noch ein paar Tage auf dem Atoll Fakarava zu verbringen, bevor wir schließlich Kurs auf Tahiti nehmen wollten. Wie üblich stand ich vorne am Bug und zog den Anker ein, während Adam am Steuerrad stand. Als der Anker eingezogen war und wir uns Richtung Pass aufmachten, entdeckte Adam, was kein Segler gern entdeckt. Insbesondere nicht vor einer Passdurchfahrt: der Motor kochte und Dampf stieg aus dem Bootsinneren ins Freie. Wir warfen an Ort und Stelle wieder Anker, denn es war klar, mit kochendem Motor kommen wir erstmal nirgendswo hin. Die folgenden Stunden verbrachte Adam auf Ursachensuche im Motorraum. Die Erkenntnis ernüchterte uns: ein Riss im Wärmetauscher und ein defektes Thermostat hatten Schuld an der Misere. Wir ließen den Motor runterkühlen und Adam dichtete den Riss behelfsmäßig mit einer Epoxy-Metall-Mischung (JD Weld) ab. Auf Tahiti standen eh etwaige Reparaturen an, eine mehr oder weniger würde den Kohl auch nicht fett machen. So dachten wir.
Die Taktik ging zunächst auf, am nächsten Tag lief der Motor problemlos, wir kamen gut durch den schäumenden Pass und sahen 3 Tage später Tahiti am Horizont. Fakarava ließen wir aus. Wir wollten das Boot im sicheren Hafen wissen, an einem Ort, wo es entsprechende Infrastruktur gibt, die diversen Probleme der Vixen zu beheben. Außerdem erwarteten wir Freunde, die Ersatzteile mitbringen würden (Wellendichtung!). Nach zwei Wochen würden wir weiter können.

Kaum waren wir auf Tahiti angekommen, stellte sich jedoch heraus, dass wir einem Trugschluss aufgesessen waren. Der uns mittlerweile bekannte Wasserdampf stieg weder auf, der geflickte Riss hatte kapituliert. Wir notankerten im Bojenfeld vor der Marina, aus welchem wir vom Hafenmeister kurze Zeit später freundlich aber bestimmt rausgeschmissen wurden. Zu Recht. Vorsichtig navigierten wir die Vixen zu einer nahe gelegenen Ankerstelle, denn in der Marina gab es keinen Platz mehr.

Die Stimmung war in jenen Tagen auf dem Tiefpunkt, die ständigen technischen Probleme, die in den letzten Wochen, wie eine Art Dauerbeschuss auf uns eingeprasselten sind, machten uns langsam aber sicher mürbe. Wir waren bis zum Anschlag frustriert und standen unter großem Druck. Denn jedes weitere Problem, jede weitere Reparatur kostet nicht nur einen Haufen Geld, sondern auch Zeit. Alles, was in Europa lediglich ein paar Tage Zeit in Anspruch nehmen würde, dauert hier, am Ende der Welt um ein vielfaches länger und kostet auch ein vielfaches mehr.

So rotierten wir die nächsten Tage durch das Industriegebiete und den Hafen von Papeete, auf der Suche nach Bootsausstattern und nach einer Werft, die die Vixen aus dem Wasser holt und auf der wir die Reparaturen durchführen können. Mit Erfolg! Wir stellten fest, dass es viele Boots-Shops gibt und konnten nach einigem hin und her einen Termin in Werft für das Haulout der Vixen vereinbaren. Unsere Freunde kamen und mit ihnen die Ersatzteile und wir bekamen sogar für zwei Tage einen Platz in der Marina, bevor wir uns auf den Weg zur Werft machen würden. Wir konnten Wäsche waschen, das Deck schrubben, alles war gut vorbereitet für den Tag des Haulout, alles war in die Wege geleitet. Das Glück schien uns wieder hold. Alles würde gut werden, wir würden die Reparaturen erledigen und dann Segel setzen und auf direkten Wege nach Samoa und später auf die Salomonen zu kommen. Die Landgänge würden wir knapp halten, wir würden viel segeln und dann rechtzeitig zu Zyklonsaison in sicheren Gefilden der niederen Breiten sein.

Doch Pustekuchen. Zu früh gefreut. Ätschie-Bätschi. Dumm aus der Wäsche geguckt. Wieder einmal bekamen wir die Pappnase aufgesetzt. Ich möchte an dieser Stelle auf den letzten Blockeintrag verweisen („Arbeit zieht Arbeit nach sich“).
Die Hiobsbotschaft erwischte uns rückblickend vielleicht nicht ganz überraschend aber als Adam am Tag vor dem Übersetzen in die Werft noch einmal den Motor durchcheckte, traf es uns dennoch eiskalt: die Zylinderkopfdichtung war im Arsch.
Die Folge: Absagen des Werfttermins, vergebliche Suche nach einem Ersatzteil, dauerhaftes Festmachen in der Marina (weil Ankerplatz nicht mehr sicher), Ersatzteilbestellung in Deutschland, Studium des internationalen Versandhandels und Frust, Frust, Frust. Die Gedanken kreisen in Dauerschleife um die Themen Geld und Zeit, denn dieses gravierende Motorproblem verursacht natürlich erhebliche Mehrkosten (Ersatzteil, Versand, Liegeplatzgebühren) und setzt uns auch zeitlich einmal mehr unter Druck.

Wir befinden uns auf der anderen Seite der Welt, die Hälfte der Strecke ist geschafft, die Zeitverschiebung beträgt exakt 12 Stunden, was ein halber Tag ist, die Datumsgrenze ist zum Greifen nah. Ab jetzt würde es für uns nach Hause gehen.
Doch wir befinden uns nicht nur geographisch in einer Region der Zeitenwende. Auch emotional scheinen andere Zeiten anzubrechen. Kleinere Probleme haben uns schon während der ganzen Reise begleitet, doch sie waren kontrollierbar und in der Regel leicht zu lösen. Sicher, man beschwerte sich über all die Zicken, die das Boot machte aber welches Boot macht keine Zicken? Kurz, man konnte die Reise genießen, die guten Dinge überwogen, man sah neue Länder, lernte neue Kulturen kennen und reparierte nebenbei halt ein bisschen. Normales Boatslife eben.

Im Moment wirkt nichts mehr leicht. Der Ernst des Lebens hat uns eingeholt. Der Welpenschutz ist abgelaufen. Es geht um die Wurst. Was tun, wenn der Versand des Ersatzteils zu lange braucht? Wir nicht mehr rechtzeitig vor der Sturmsaison wegkommen? Welche Mehrkosten kommen dadurch im schlimmsten Fall auf uns zu? Und wann ist eigentlich Schluss mit einer Seefahrt, die ist lustig?

Wir sind im Paradies gestrandet, halten den Atem an und drücken uns selber die Daumen.